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Aktive Gewaltfreiheit

Herrschaft ist nur so stark, wie die Menschen gehorchen!

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Indien

Gandhi führt den berühmten Salzmarsch von 1930 an, ein bemerkenswertes Beispiel für Satyagraha (gewaltloser Widerstand).
Foto: Yann, Public domain, via Wikimedia Commons

Verteidigung menschlicher gestalten

Die Geschichte ist voller Beispiele, in denen Menschen gewaltfrei Widerstand geleistet haben. Oft standen sie dabei gewaltbereiten Regimen gegenüber – und waren trotzdem erfolgreich. Das waren keine historischen Zufälle, Gewaltfreiheit ist kraftvoll.

Genau diese Kraft wollen wir mit anderen Menschen zusammen nutzen, um uns wirkungsvoll zu verteidigen.

Ihre Stärke wurde wissenschaftlich erforscht. Bei gewaltfreiem, zivilem Widerstand bewirkt sie den Erfolg – oft erfolgreicher als gewaltsamer Widerstand.

Aktive Gewaltfreiheit

Überall auf der Welt treten Menschen mit den Methoden aktiver Gewaltfreiheit oder zivilen Widerstands Missständen, Unrecht und Gewaltherrschaft entgegen oder fordern soziale Verbesserungen ein.

Soziale Verteidigung nutzt diese bewährte Vorgehensweise, um eine Gesellschaft wirksam gegen einen militärischen Überfall von außen, aber auch gegen einen gewaltsamen Staatsstreich von innen zu schützen. 

Der Erfolg dieser Streitkunst beruht auf wenig bekannten Tatsachen.

People Power

Manila, 24. Februar 1986: Diese Menschenmenge stoppte Panzer, was wesentlich zum Erfolg beitrug: Die systematisch vorbereitete, gewaltfreie „Rosenkranz-Revolution“ beendete die brutale Marcos-Diktatur auf den Philippinen.

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Chile

Menschen protestieren auf der Plaza Baquedano in Chile gegen soziale Ungleichheiten.
Foto: Hugo Morales, CC BY-SA 4.0

Schützen was uns wichtig ist

Bei der Sozialen Verteidigung geht es nicht um die Verteidigung von Grenzen oder Territorien, sondern darum, Leben, demokratische und selbstbestimmte Lebensweisen und Lebensnotwendiges zu bewahren, ohne sich einem Angreifer zu ergeben. Denn Krieg zerstört, was verteidigt werden soll. Falls Atomwaffen eingesetzt werden, droht unvorstellbare Zerstörung.

Soziale Verteidigung ist kein Allheilmittel gegen den Krieg. Auch bei Sozialer Verteidigung werden Menschen leiden. Aber der Schutz von Menschen, lebensnotwendiger Infrastruktur und sozialen Errungenschaften steht dann an erster Stelle.

Die Stärke aktiver Gewaltfreiheit

Gewaltfreiheit, also aktiver Verzicht auf Gewalt – das soll stark und wirksam sein?
Wenn das stimmt,  hätte das große Bedeutung für die ganze Welt. Weltweit gibt es mehr als 170 gewaltsame Krisen und 20 Kriege, die der Logik von Mao Zedong zu folgen scheinen: „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen“.

Das sah der begeisternde Aktivist Mohandas K. Gandhi ganz anders. Und er machte es vor: Entschlossen setzte er sich für Wahrheit und Gerechtigkeit ein und trat allen Konfliktbeteiligten stets mit Respekt und Wohlwollen gegenüber. Das führte zu immer mehr Zustimmung und – wenn auch manchmal erst nach langen, aber beharrlichen Auseinandersetzungen  – oft zum Erfolg.

Gandhi sagte: „Die Kraft von Liebe und ist unendlich viel größer als die Kraft von Waffen.“ Diese Streitkunst nannte er „Satyagraha“. Mit ihr führte er Indien gegen die damals stärkste Weltmacht England in die Unabhängigkeit

 

 

 

 

Inida Saltmarch

Indien

Indiens Weg zur Unabhängigkeit von der Kolonialmacht England: Gandhi bricht 1930 das entwürdigende britische Salzgesetz.
Foto: Gandhiserve (© verjährt)

Mao oder Gandhi

Mao oder Gandhi: Was sagt die Forschung?

Wie erfolgreich ist gewaltfreies Vorgehen tatsächlich? Insbesondere im Vergleich zu Gewaltanwendung?

Auf diese Frage suchten die Politikwissenschaftlerinnen Erica Chenoweth und Maria Stephan eine durch Tatsachen begründete Antwort. Die Auswertung von 323 gewaltsamen und gewaltfreien Aufständen und Kampagnen von 1900 bis 2006 ergab – die Forschenden staunten selbst – dass gewaltsame Aufstände zu rund drei Vierteln scheiterten, während von den gewaltfreien etwas mehr als die Hälfte erfolgreich war. Die Erfolgsquote zivilen Widerstands war also doppelt so hoch wie die der bewaffneten Aufstände.

Die Studie „Why civil resistance works“ war die erste statistische Studie zum Thema Gewaltfreiheit und erregte viel Aufsehen. Sie erschien in renommierten Zeitschriften wie dem „Journal for Peace Research“ und „National Security“ und gilt bis heute als eine der wichtigsten Studien im Bereich Gewaltfreiheit und Bewegungsforschung.

Wir glauben, dass ein Grund für die großen Erfolgsquoten ist, dass aktive Gewaltfreiheit mehr beinhaltet, als keine Gewalt anzuwenden. In dem Begriff
‚Gewaltfreiheit‘ kommt diese Kraft und Aktivität leider nicht genug zum Ausdruck.

 

Gesucht: Ein kraftvolleres Wort für aktive Gewaltfreiheit!

MLK

Martin Luther King Jr.

Dr. Martin Luther King:

„Das ist die Schwäche von Gewalt: Sie erzeugt genau das, was sie zerstören will. Anstatt das Böse zu verringern, vervielfältigt sie es. Mit Hilfe von Gewalt ermordet man den Hassenden, aber nicht den Hass. Gewalt vermehrt Hass. Wer Gewalt mit Gewalt erwidert, vervielfältigt damit die Gewalt: eine abwärtsführende Spirale. So wird eine sternenlose Nacht noch dunkler. Dunkelheit kann Dunkelheit nicht vertreiben, das kann nur Licht. Hass kann Hass nicht vertreiben, das kann nur Liebe.“

„Satyagraha“ (sprich: Satjagrah, in der Mitte langes a), so hat Gandhi seine Streitkunst genannt, deren Anwendung wesentlich zu Indiens gewaltfreier Befreiung von der britischen Kolonialherrschaft beigetragen hat. Er nannte sie auch „love-force“, „truth-force“ oder „soul-force“ und erklärte sie als „die Kraft, die durch liebevollen Einsatz für Gerechtigkeit Veränderung bewirkt“. Für den positiven Begriff Satyagraha gibt es weder in der englischen noch in der deutschen Sprache eine etablierte Übersetzung.

Auf Wikipedia steht über Gandhi, dass er „Methoden des gewaltlosen“ Kampfes entwickelt hat. „Gewaltlos“, „gewaltfrei“ – Begriffe, die die Verneinung von Gewalt ausdrücken, aber nicht die Stärke der Vorgehensweise. Insider versuchen einen gewissen Ausgleich durch Formulierungen wie „aktiv gewaltfrei“, „gewaltfreies Handeln“, „gewaltfreie Aktion“ oder „Civil resistance, Ziviler Widerstand“.

Unseren Artikel haben wir daher mit „Die Stärke aktiver Gewaltfreiheit“ überschrieben. Es gibt weltweit viele andere Bezeichnungen. Der Friedensforscher Dr. Martin Arnold hat „Gütekraft“ vorgeschlagen, allgemein durchgesetzt hat sich dieser Begriff bisher nicht. Wie gefällt Dir das Wort? Hast Du andere Ideen, um die Kraft der Gewaltfreiheit zu benennen?

Die Wirksamkeit der gewaltfreien Vorgehensweise

Bei jeglicher Herrschaft sind mindestens zwei Seiten beteiligt. Auf dieser Erkenntnis beruhen die Methoden und die große Wirksamkeit der gewaltfreien Vorgehensweise. Sie sind auch wirksam beim Abbau von sozialen Missständen, Unrecht und Ausübung von Gewalt. Die Wirkung kommt durch zwei Grundelemente zustande:

Herrschaft ist nur so stark, wie Menschen gehorchen.

Auch Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit bewegen Menschen.

Herrschaft beruht auf Gehorsam

Herrschaft ist nur so stark, wie Menschen gehorchen. Wird die Zusammenarbeit mit den Mächtigen verweigert, verlieren sie ihre Machtbasis. Dies ist keine neue Erkenntnis:

Eine Fabel aus China erklärte vor 700 Jahren jungen Prinzen ihre Abhängigkeit von den Untertanen so: „Der Affenmeister tyrannisierte seine Affen brutal, damit sie jeden Tag für ihn im Urwald Früchte sammelten. Als eines Tages ein junger Affe fragte: „Sind wir auf ihn angewiesen?“ wurde sich die Horde ihrer Möglichkeiten bewusst.  In der Nacht brachen sie aus dem Käfig aus und verließen den Affenmeister. Der Mann verhungerte.“

In ähnlichem Sinne schrieb Étienne de la Boétie in seinem Werk „Freiwillige Knechtschaft“ (1559): „Seid entschlossen, keine Knechte mehr zu sein, und ihr seid frei. Ich will nicht, dass ihr den Tyrannen verjagt … stützt ihn nur nicht; und ihr sollt sehen, wie er, wie ein riesiger Koloss, dem man die Unterlage nimmt, zusammenbricht.“

Etienne

Étienne de la Boétie

Von der freiwilligen Knechtschaft der Menschen.

Étienne de la Boétie-Denkmal in Sarlat-la-Canéda, Frankreich

Foto: Tommy-Boy, CC BY-SA 4.0

Henry David Thoreau

Henry David Thoreau

Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat

Foto: Wikimedia Commons, Public Domain

Auch Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit sind Bewegunggründe für menschliches Handeln.

„Wenn das Gesetz … „aus dir den Arm des Unrechts … macht, dann, sage ich, brich das Gesetz. Mach’ dein Leben zu einem Gegengewicht, um die Maschine aufzuhalten.“

Der Philosoph Henry David Thoreau weigerte sich 1846, für den “ungerechten Krieg” der USA gegen Mexiko Steuern zu zahlen. Man warf ihn ins Gefängnis. Dort schrieb er “Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat”.
Weltliteratur, Pflichtlektüre auch heute!

Gandhi verbreitete Thoreau’s Schrift massenweise. Er brach am Ende des Salzmarschs 1930 das entwürdigende Salzgesetz der Briten und tausende seiner Landsleute mit ihm. Dadurch wurden seine Streitkunst Satyagraha und ziviler Ungehorsam weltweit bekannt. Dieser edle, nichtkriminelle Gesetzesbruch als gewaltfreie Form von Nichtzusammenarbeit und Protest gegen herrschendes Unrecht erlangte durch Gandhis glaubwürdige, bescheidene Persönlichkeit auch gesellschaftliche Anerkennung.

Gewaltfreie Nichtzusammenarbeit

Gewaltfreie Nichtzusammenarbeit mit einem Missstand und das aktive Einstehen für Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit werden je nach der besonderen Lage sehr unterschiedlich ins Werk gesetzt. Es folgt je ein Beispiel gewaltfreien Widerstands gegen einen militärischen Angriff von außen und von innen. Zwei historische Beispiele sollen die verschiedenen Aspekte bei einem Angriff von außen und innen veranschaulichen. 

Die wahren Waffen

Für unser erstes Beispiel gehen wir weit in die Geschichte zurück. Der früheste Bericht massenhaften zivilen Widerstands gegen militärische Bedrohung von außen ist mehr als 2000 Jahre alt und handelt von Tusculum.

Im Jahr 375 v. Chr. ließ Rom einige seiner Soldaten gegen die Nachbarstadt Tusculum marschieren. Der mit dem Krieg beauftragte Feldherr fand jedoch statt kampfbereiter Soldaten friedliches Leben vor. Die Tusculaner ließen die Stadttore offen, arbeiteten weiter auf ihren Feldern – und sollen die römischen Soldaten zudem mit Früchten versorgt haben.

„Entwaffnet durch diese Gelassenheit der Feinde“, so schreibt der Historiker Titus Livius später, leitete der Feldherr das Ende des geplanten Krieges mit den Worten ein: „Tusculaner, ihr habt die wahren Waffen und die wahren Kräfte gefunden, mit denen ihr euer Eigentum vor dem Zorn der Römer schützen werdet.“ Er bat einige Bewohner nach Rom, wo sie dem Senat mit den Worten begegnet sein sollen: „Wir danken euren Feldherrn sowohl als euren Heeren, dass sie […] wo kein Feind war, auch keinen finden wollten. […] Soll uns die Übermacht eurer Waffen fühlbar werden, so wollen wir sie ohne Widerstand fühlen.“ Diese Haltung hinterließ einen solchen Eindruck, dass der drohende Krieg abgewendet werden konnte.

Tusculum Amphitheatre

Tusculum

Dieses Landschaftsgemälde von Thomas Worthington Whittredge zeigt das Amphitheater von Tusculum.

Foto: Ad Meskens, Public Domain

Tusuclum

Tusculums Stadtmauer auf einer altrömischen Münze.

Wer weitergeht wird erschossen
Aufruf zum Generalstreik

“Die Republik retten!”

Kapp-Lüttwitz-Putsch: Militärischer Angriff von innen wird gewaltfrei abgewehrt

Berlin, 13. März 1920: Freicorps-Brigade Erhardt besetzt unter General Lüttwitz das Regierungsviertel. Ziele des Putsches: Wiederherstellung der Monarchie, keine Verkleinerung des deutschen Militärs (die der Versailler Vertrag forderte).

Wolfgang Kapp ernennt sich selbst zum „Reichskanzler“, Walther von Lüttwitz wird „Reichswehrminister“. Durch Flucht nach Stuttgart entgeht die gewählte Regierung knapp der Festnahme oder dem Tod.

Gewaltfreier Widerstand gegen die unrechtmäßige Regierung: Massenhafte Nichtzusammenarbeit legt in Form eines Generalstreiks das öffentliche Leben lahm. Beamte befolgen Befehle der Putschisten nicht, die Reichsbank zahlt ihnen kein Geld aus.

Die Drohung mit standrechtlicher Erschießung hilft ihnen nicht. Die gewählte Regierung ermutigt zum Widerstand, aus Flugzeugen flattern Aufrufe zur Desertion. Nach vier Tagen flieht Kapp ins Ausland und Lüttwitz wird von den eigenen Offizieren zum Aufgeben genötigt, der Putsch ist gescheitert. Die Regierung kehrt nach Berlin zurück, die Republik ist gerettet.

Konsequente Nichtzusammenarbeit mit den Putschisten führte zu deren totalem Machtverlust.