Wie funktioniert Soziale Verteidigung?
Du kannst viel mehr verteidigen, als du denkst!
Verteidigung sozialer gestalten
Überall auf der Welt treten Menschen mit den Methoden aktiver Gewaltfreiheit oder zivilen Widerstands Missständen, Unrecht und Gewaltherrschaft entgegen oder fordern soziale Verbesserungen ein.
Soziale Verteidigung nutzt diese bewährte Vorgehensweise, um eine Gesellschaft wirksam gegen einen militärischen Überfall von außen, aber auch gegen einen gewaltsamen Staatsstreich von innen zu schützen. Soziale Verteidigung treibt dabei die politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Kosten für die Aggression so hoch, dass die angestrebten Ziele nicht erreicht werden können. Davon kann und soll eine Wirkung ausgehen, die von der Aggression abhält.
Die zahlreichen großen Erfolge des aktiv gewaltfreien Vorgehens, des zivilen Widerstands, beruhen auf wenig bekannten Tatsachen.
Aktive Gewaltfreiheit
Die Geschichte ist voller Beispiele, in denen Menschen gewaltfrei Widerstand geleistet haben. Oft standen sie dabei gewaltbereiten Regimen gegenüber – und waren trotzdem erfolgreich. Das waren keine historischen Zufälle, Gewaltfreiheit ist kraftvoll.
Genau diese Kraft wollen wir gemeinsam nutzen, um uns wirkungsvoll zu verteidigen.
Die Kraft aktiver Gewaltfreiheit wurde wissenschaftlich erforscht – das Ergebnis erstaunte auch die Forschenden: Ziviler Widerstand war anteilig viel häufiger erfolgreich als gewaltsamer Widerstand.
Schützen was uns wichtig ist
Bei der Sozialen Verteidigung geht es nicht um die Verteidigung von Grenzen oder Territorien, sondern darum, Leben, demokratische und selbstbestimmte Lebensweisen und Lebensnotwendiges zu bewahren, ohne sich einem Angreifer zu ergeben. Denn Krieg zerstört, was verteidigt werden soll. Falls Atomwaffen eingesetzt werden, droht unvorstellbare Zerstörung.
Soziale Verteidigung ist kein Allheilmittel gegen den Krieg. Auch bei Sozialer Verteidigung werden Menschen leiden. Aber der Schutz von Menschen, lebensnotwendiger Infrastruktur und sozialen Errungenschaften steht dann an erster Stelle.
Ein Beispiel aus der Ukraine
Am 26. März 2022 ist die russische Armee in die ukrainische Stadt Slawutytsch einmarschiert, hat dabei drei Menschen getötet und den Bürgermeister verhaftet. Die Einwohner*innen des 25.000 Menschen umfassenden Ortes haben daraufhin weder kapituliert noch zu den Waffen gegriffen – sie haben demonstriert. Sie kamen spontan auf den zentralen Platz, sangen die ukrainische Hymne und forderten die Freilassung des Bürgermeisters.
Die russischen Truppen haben versucht, die Demonstration aufzulösen. Sie haben in die Luft geschossen und Blendgranaten geworfen, doch die ukrainischen Bürger*innen blieben standhaft und ließen sich auch nicht zu Gewalt hinreißen. Es kam zu Verhandlungen, der Bürgermeister wurde freigelassen – und die russischen Truppen haben den Ort nach nur zwei Tagen wieder verlassen.
Der Norwegische Widerstand
Auch im Zweiten Weltkrieg kam es zu gewaltfreiem Widerstand. 1940 haben deutsche Truppen Norwegen besetzt, der militärische Widerstand war nach wenigen Monaten gebrochen und die Nazis übernahmen die Regierung. Um die Bevölkerung zu unterwerfen, wollten sie auch die Schulen kontrollieren und die Jugend dort mit dem Gedankengut des Nationalsozialismus erziehen.
Doch das scheiterte am Widerstand der Lehrer*innen. Die Mehrheit der Lehrer*innen weigerte sich, im Sinne der Nazis zu unterrichten und nahm lieber eine Entlassung in Kauf. Um den Widerstand der Lehrer*innen zu brechen, inhaftierten die Nazis zehn Prozent von ihnen, 1100 Menschen, und brachten sie in Konzentrationslager. Die Nazis drohten ihnen mit Folter und Tod, einige Lehrer*innen sind in den Lagern gestorben. Doch ihr Widerstand hielt an – bis die Nazis aufgegeben haben. Die Lehrer*innen wurden freigelassen und konnten ihren Unterricht fortsetzen. Sie haben die Schulen verteidigt.
Der Ruhrkampf 1923
Was wir heute unter gewaltfreiem Widerstand aus vielen Beispielen kennen, war 1923 noch gar nicht “erfunden”. Der Erste Weltkrieg gerade einmal fünf Jahre vorbei, und das militärische Denken überall präsent. In dieser Zeit wurde das industrielle Herzstück Deutschlands, das Ruhrgebiet, von belgischen und französischen Truppen besetzt. Die deutsche Regierung reagierte ungewöhnlich: Sie kapituliert nicht, sie ruft nicht den Kriegsfall aus und startet auch keinen Guerillakrieg. Sie ruft zum “passiven Widerstand” auf. Neun Monate lang ringen die Besatzungsmächte mit diesem zivilen Widerstand und schaffen es am Ende nicht, die gewünschten Ziele zu erreichen. Aber auch die Demokratie zahlt bitteres Lehrgeld, der Widerstand lähmt die Wirtschaft und muss schließlich beendet werden.
Aus der Geschichte lernen
In Slawutytsch in der Ukraine haben die Einwohner zwar einen Kampf um ihre Stadt gewonnen – die russischen Truppen zogen aber weiter und setzten den Krieg fort. Die Lehrer*innen in Norwegen haben ihre Schulen gegen den Zugriff der Nazis verteidigt, Norwegen blieb aber ein besetztes Land. Der passive Widerstand im Ruhrgebiet hat zwar die Ziele der Besatzer durchkreuzt, doch auch die junge deutsche Demokratie wurde beschädigt. Der Abbruch des Widerstands war für viele Menschen damals eine herbe Enttäuschung.
Wir schauen in die Vergangenheit, um daraus zu lernen. Die Beispiele zeigen, dass Gewaltfreiheit gegen Gewalt erfolgreich sein kann und dass auch Staaten gewaltfreie Strategien nutzen können.
Wer macht das?
In allen drei Beispielen wurde der gewaltfreie Widerstand ohne größere Vorbereitung eingesetzt. Und das spiegelt sich in den begrenzten Erfolgen wider. Wenn wir uns gewaltfrei gegen einen Angriffskrieg verteidigen wollen, dann braucht es dazu intensive Vorbereitungen und ein abgestimmtes Vorgehen. Schließlich bestehen militärische Armeen ebenfalls aus Menschen, die mit großem Aufwand trainiert und ausgerüstet werden. Was wäre möglich, wenn wir diesen Aufwand in gewaltfreie Verteidigung stecken würden? Wir arbeiten an einer Antwort!
Bereits heute engagieren sich in vielen Regionen Deutschlands Menschen, um die Soziale Verteidigung in ihrer Umgebung voranzubringen. In unserer Kampagne sprechen wir von Regionalgruppen oder Modellregionen.